Die Residenzkünstlerin hat für ihren Liederabend eine kluge Mogelpackung geschnürt, die mehr Niveau bedeutet, nicht weniger.
Hamburg. Aus dem Karriereabschnitt der Holzhammer-Recitals ist Magdalena Kozena längst herausgewachsen. Ein Liederabend-Programm, das entweder mit Notenmengen oder Publikumslieblingen den schnelleren, eindeutigeren Applaus bringt, hat die Mezzosopranistin Gott sei Dank in ihrer Wahlheimat Berlin gelassen. Die klassische Koloratur-Wuchtbrumme war sie ohnehin nie. Ihre Carte-Blanche-Gelegenheit nutzte sie lieber, um auch beim zweiten ihrer vier Residenzkünstler-Konzerte in Hamburg mit lohnenden Fundstücken aus Repertoire-Randbezirken zu überzeugen.
Eine Mogelpackung, aber mit mehr Niveau statt weniger. Also: zwar große Namen wie Brahms, Strauss, Strawinsky, Ravel, Dvorak, doch die so klug kombiniert und mit dramaturgischen Querverbindungen vernetzt, dass der Abend – trotz spröder, leicht anstrengender Momente – am Ende mehr war als die Summe seiner Teile. Er zeigte, wie klug man zwei Stunden füllen kann, ohne das Eingängige vermissen zu lassen. Das traut sich nicht jede.
Die Sidekick-Aktivität von Simon Rattle war vor allem wohlwollend gut gemeint
Allerdings hat auch nicht jede Sängerin das Glück oder den Luxus zur Verfügung, sich mit einem guten halben Dutzend Top-Kammermusikern und dem Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker als Klavierbegleiter auf eine kleine Konzerthaus-Tour durch Europa zu begeben. Die Sidekick-Aktivität von Sir Simon Rattle, der nicht bei allen Programmpunkten im Großen Saal der Laeiszhalle zum Einsatz auf die Bühne kam, war vor allem wohlwollend gut gemeint. Die Freude daran für den Hauptberuf-Dirigenten war einseitiger als der musikalische Erkenntnisgewinn, dafür schienen die pianistischen Herausforderungen nicht massiv genug. Doch das fiel nicht ins Gewicht, die Geste des Gentlemans und Gatten zählte.
Auch Kozena selbst nahm sich sehr zurück, wirkte zunächst leicht indisponiert und verspannt. Der Abend begann wie das analytisch abcheckende Blättern eines Recital-Gourmets in Werkkatalogen, auf der Suche nach noch unverkochten Leckerbissen-Zutaten. Die Abgeklärtheit, mit der sie Strawinskys "Three Songs from William Shakespeare" als Mikado-Partie aus Noten und Gesangslinien in der Balance hielt, hallte in Strauss' "Drei Liedern der Ophelia" zu züchtig nach, um den Wahnsinn übermächtig klingen zu lassen. Chaussons allerliebst elegisches "Chanson perpetuelle" erhielt mit Ravels "Chansons madécasses" eine exotische Fortsetzung.
Am Ende gab es Dvorak in diesem Programm für Fortgeschrittene
Nach der Pause ging es konsequent mit großen Petitessen weiter. Zum zweiten Mal das Ophelia-Thema, nun aber von Brahms vertont, und auch noch für Streichquartett-Bearbeitung modelliert von Aribert Reimann, so schlicht und eindrücklich und unverfälscht wie ein frisches ofenwarmes Landbrot.
Der Rest: ein Heimspiel für die Tschechin, nicht nur wegen der Muttersprache. Zunächst Janaceks "Kinderreime", in der Frühfassung für Stimme, Klarinette und Klavier: fröhlich durch den überschaubaren Wortschatz herumkullernder Liedchen, bei denen hin und wieder der Chor der Mitmusiker von rechts oder links hineinkrähen durfte. Und natürlich dann auch noch eine Dvorak-Abteilung, mit den "Zigeunermelodien" als folkloristisch-melancholischer Abbinder eines Programms für Fortgeschrittene.
Von Joachim Mischke