Charpentiers Barockoper «Medea» mit einer grandiosen Magdalena Kozena feiert einen grossen Erfolg
Medea umgarnt ihren Mann Jason mit all ihrer Liebe, versucht ihn zurückzugewinnen. Erst als sie erkennt, dass Jason – trotz gegenteiliger Beteuerungen – ihre Liebe verraten hat, verfällt sie in bittere Klage. Aus ihrer seelischen Verletzung dringt ein geradezu dämonischer Zorn. Medea beschwört die Geister der Unterwelt, des Hades, und bringt dem Hof Korinths Tod und Feuer.
Die Mezzosopranistin Magdalena Kozena singt und spielt die Medea in Marc-Antoine Charpentiers Oper «Médée» von 1693 am Theater Basel mit einer erschütternden Intensität. Sie entwickelt mit ihrer in den Höhen wie Tiefen klar zeichnenden Stimme höchste Ausdruckskraft. Sie zeichnet eindrücklich die menschliche Tragik dieser grossen Liebenden. In jedem Wort, in jeder Geste ist starke Emotionalität. Setzt sie an zum grauenvollen Rachezug, der selbst vor der Ermordung ihrer Kinder nicht Halt macht, entfaltet Kozena die ganze Palette an Klangfarben des Zorns. Sie steigert sich in einen Wahn der Zerstörung, wandelt sich zur Dämonin. Meisterhaft ist Kozenas Rezitativkunst, die gerade in der französischen Barockoper so wichtig ist. Ihr sprechendes Singen und singendes Sprechen ist von packender Lebendigkeit.
Musik und Spiel verzahnen sich
Getragen wird sie vom sehr präsenten, mit Verve spielenden Basler Barockorchester «La Cetra», das für den Klang der historischen Instrumente vorteilhaft auf der Seite der Bühne platziert ist. Chefdirigent Andrea Marcon feuert das Orchester, Sängerinnen, Sänger und Chor vom Cembalo aus an, führt präzis und mit Leidenschaft durch die Partitur. Mit starken Farben zeichnet die Basso-Continuo-Gruppe die Affekte. Darüber entwickeln Streicher und Bläser die affektreichen melodischen Bögen dieser königlichen Musik, die Charpentier zu Ehren von Louis XIV komponiert hat.
In der vom Premierenpublikum bejubelten Basler Produktion von Charpentiers «Médée» nach dem Libretto von Thomas Corneille verbinden sich Musik, Szene, Spiel und Gesang zu einem grossen Theaterkunstwerk. Die Barockoper berührt musikalisch wie szenisch als wäre sie von heute. Das ist nicht allein auf den Weltstar Magdalena Kozena und das vitale Musizieren von «La Cetra» zurückzuführen, sondern ebenso auf den hervorragenden, stilkompetenten Gesang, das Spiel der Solisten und des «La Cetra Vokalensembles» sowie auf die Regie des nach vielen Jahren wieder in Basel arbeitendenden Altmeisters Nicolas Brieger.
Brieger und Marcon fokussieren auf die Medea-Geschichte, haben den für die königliche Barockoper obligaten Prolog weggekürzt und die Oper durch weitere Striche gestrafft. Dies zahlt sie im Sinne eines lebendigen Barocktheaters von heute sehr wohl aus.
Brieger verlegt die antike mythologische Geschichte in einen nicht genau festgelegten Militärstaat von heute. Der Königspalast wird zum Grandhotel, in dem sich die Mächtigen treffen. Hier hin sind Medea und Jason mit ihren Söhnen aus Thessalien geflohen. Jasons Onkel wollte ihm den Thron nicht überlassen. Medea tötete ihn. Dessen Sohn Acastes hat Korinth den Krieg erklärt. Oronte, König von Argos, eilt den Korinthern zu Hilfe – in der Hoffnung, Kreusa, König Kreons Tochter, zu heiraten. Kreusa aber will Jason und bezirzt den ihr verfallenen Vater. Jason verliebt sich in die junge Schöne.
Damit beginnen sich die tödlichen Dreiecke zu drehen. Brieger zeigt Medea als von Beginn weg Ausgestossene. Sie ist mit ihren beiden Söhnen in den Keller des Grandhotels verbannt – besonders wenn die Mächtigen im Hotel ihre Party feiern. Raimund Bauers Bühnenraum stellt übereinander liegende offene Hotelkorridore dar – verbunden mit einem Lift. Die Korridore erinnern an Kommandobrücken eines Schiffes. Hier zieht Brieger mit durchdachter Personenregie die konfliktreichen Beziehungsfäden zwischen den Figuren, macht schlüssig, wie Medea immer stärker in die Enge getrieben wird.
Tödliche Beziehungsfelder
Allein Jasons Blick erzählt, dass er Medea, die alles für ihn tat, überdrüssig ist. Er stösst sie zurück. Anders J. Dahlin spielt das stark mit abweisender Mine. Er ist für die Rolle des hohen Tenors die perfekte Besetzung – ein echter Hautecontre. Seine helle Stimme steigt mit Leichtigkeit in die Höhen, zeichnet virtuos die Verzierungen. Dahlin spielt den aalglatten Jason mit herrlicher Arroganz. Luca Tittoto ist mit seinem kernigen, wendigen Bass ein verschlagener König in Militäruniform, der die Intrige gegen Medea spinnt. Auch Tittoto ist eine ideale Besetzung. Meike Hartmann gestaltet mit warmem Sopran die Kreusa als verwöhnte Tochter, die erhält, was sie will – selbst Medeas Söhne werden ihr in Obhut gegeben. Den Oronte spielt Robin Adams als selbstüberzeugten, auch naiven Macho, er gibt ihn mit kraftvollem, wendigem Bariton. Medeas Vertraute Silke Gäng ist hier eine Unentschlossene, eher Gouvernante dieses Hotels der Macht als Gefährtin Medeas. Sie versucht, zu beschwichtigen. Silke Gäng gestaltet dies ausgezeichnet mit ihrem schön zeichnenden Mezzosopran.
Unaufhaltsame Katastrophe
Spielt die Basler Medea auch in der Gegenwart, Brieger schafft zugleich Reverenzen an den Barock. So beim Theater im Theater, mit dem Oronte Kreusa seine Liebe beweisen will. Von Barockfiguren wird hier Liebeskampf gespielt – als Marionettentheater mit lebenden Frauen und Männern. Angetrieben wird die Show durch die von «La Cetra» pulsierend gespielte Tanzmusik. Kriegsgetöse zerstört das Liebeswerben und zeigt Oronte, dass auch er verraten ist.
Die Höllengeister, die Medea ruft, sind in ihrer Bildhaftigkeit eher Filmzitate und haben doch auch etwas Barockes. Der Chor singt mit dämonischem Klang. «La Cetra» entfacht ein musikalisches Beben, das den Hades erschüttert. Medea demonstriert ihre Macht. König Kreon kann sie nicht fassen, die Wachen töten sich selbst und wandeln sich zu Zombies. Stewardessen umsäuseln und entkleiden Kreon – bis er nackt alleine da sitzt. Er verfällt dem Wahnsinn. Wie Tittoto das spielt, geht unter die Haut. Kreusa windet sich im vergifteten Glitzerkleid, dem verheerenden Geschenk Medeas. Jason verzweifelt – zerbricht, als Medea mit den toten, blutenden Kindern im Lift erscheint. Sie entschwindet. Eine Feuersäule steigt auf – aus dem Lift zur Hölle.
Charpentiers «Médée», eine Schweizer Erstaufführung, ist eine Entdeckung. Mit dem Weltklasse-Abend setzt Delnon in seiner letzten Basler Opernsaison ein weiteres starkes Zeichen.
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