Privates und Berufliches zu trennen, darauf verzichten Magdalena Kožená und Sir Simon Rattle. Ein Glück! Denn das Ehepaar hat den Zuhörern in der Elbphilharmonie ein herausragendes Konzert voller musikalischer Höhepunkte beschert. Seit 2008 sind die tschechische Mezzosopranistin und der langjährige Chefdirigent der Berliner Philharmoniker miteinander verheiratet.
Zusammen mit dem London Symphony Orchestra wagten Rattle und Kožená den Spagat zwischen Romantik und Barock mit Orchesterliedern von Mahler und Opernszenen von Händel. Das Orchester durfte zunächst mit Schuberts beliebter unvollendeter Sinfonie sein Können unter Beweis stellen.
Mit ihren nur zwei Sätzen ist Schuberts „Unvollendete“ eine Wucht.....
Wunderschön anzuhören sind die fünf Gedichte von Friedrich Rückert, zumal in der Vertonung von Gustav Mahler. Magdalena Koženás Mezzo glänzt in dem farbenreichen Orchestersatz. Die 44-Jährige verfügt über ein klares und volles Timbre, das sie mit einem geschmackvollen Vibrato würzt. Trotz großem Orchester bleibt der intime Charakter des Liedgesangs spürbar.
Rückerts Worte und Mahlers Melodien durchdringt Kožená bis auf den Grund und legt viel deklamatorisches Feingefühl an den Tag. Besonders das fünfte Lied „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ singt die Tschechin so feinfühlig auf den Punkt, dass man den Atem anhält. Leider verbläst sich das Englischhorn hustenbedingt.
Aus einer ganz anderen Welt scheinen da Händels Opernszenen zu stammen. Kožená kann sich hier noch einmal steigern und ihre Wandlungsfähigkeit beweisen. Jede Nummer gleicht einer kleinen Oper im Taschenformat. Die Affekte, die Gesten, die Höhen und Tiefen, das alles scheint die Mezzosopranistin regelrecht zu verkörpern. Sie schmettert erregte Koloraturen, singt ein sämiges Duett mit der Oboe, trällert, haucht, wimmert und beweist Mut zu Ecken und Kanten und zum kontrollierten Kontrollverlust.
Das cremefarbene Spitzenkleid hatte sie in der Pause gegen ein lagunengrünes mit Schleppe getauscht. Innige Poesie weicht üppiger Affektdarstellung. Ist das noch dieselbe Magdalena Kožená wie vor der Pause, fragt man sich. Was bleibt, sind das sensitive Melodiegestaltungsvermögen, die zerbrechlich schönen Phrasen, die man festhalten und daran hindern möchte, sich zu verflüchtigen. Da sind zahlreiche vollkommene Momente dabei, bei denen man verleitet ist, mit Blumen und Superlativen zu werfen.
Das Elphi-Publikum ist aus dem Häuschen, tobt, johlt und pfeift. Schon fast wie eine Zugabe wirkt danach der letzte Programmpunkt: Jean-Philippe Rameaus Suite aus „Les Boréades“. Nicht ganz einwandfrei in der Ausführung – das Schlagwerk ist stellenweise unpräzise – profitiert diese Opernsuite doch vom spritzigen Arrangement, das von Rattle selber stammt, und der beherzten, alles andere als heruntergespielten Interpretation.
Leon Battran, 16. Januar 2018, für klassik-begeistert.de