Andrea Marcon dirigiert, Nicola Brieger inszeniert Charpentiers „Medée“ in Basel. Aber erst die Mezzosopranistin Magdalena Kožená macht aus der Barockoper ein Erlebnis.
Wohl kaum eine Frauengestalt aus der griechischen Antike hat einen so schlechten Ruf wie Medea. Wer seine eigenen Kinder tötet, um dem Vater Schmerzen zuzufügen, hat kein Mitleid verdient. Oder doch? Marc-Antoine Charpentier präsentiert in seiner 1693 uraufgeführten Oper „Médée“ die Titelfigur nicht einfach als gefühllose, rachsüchtige Kindsmörderin, sondern interessiert sich für ihre Entwicklung.
Am Theater Basel wird Medea nun in der lange Zeit verschollenen „Tragédie mise en musique“ fast zur Sympathiefigur, weil man ihre Verletzungen besser verstehen kann. Das liegt vor allem an Magdalena Kožená. Die tschechische Mezzosopranistin zeigt Médée als vielschichtige Frau, die große Emotionen in sich trägt. Schon bei der Ouvertüre, die das La Cetra Barockorchester Basel unter der Leitung von Andrea Marcon geschärft und gespannt zum Klingen bringt, steht Médée als fürsorgliche Mutter auf der Bühne und spielt ausgelassen mit ihren Kindern. Erst als die Yuppie-Gesellschaft laut lachend und quatschend auf die Bühne kommt, verschwindet sie in den Keller dieses zweistöckigen, marmornen Machtapparats von König Créon.
Charpentiers Musik unterscheidet kaum zwischen Rezitativ und Arie. Die fließenden Gesangslinien sind nah an der gesprochenen Sprache. Es gibt kaum geschlossene Nummern in dieser frühen Barockoper. Die Virtuosität liegt vor allem im Orchester, Koloraturen sind gar nicht zu hören. Nur die Affekte hat der Franzose von der italienischen Oper seiner Zeit übernommen, wenn in den Gesangsstimmen große Intervalle ausgemessen oder einzelne Worte gedehnt werden.
Magdalena Kožená reichert die Partitur mit vielen Nuancen und Farben an; bei dramatischen Ausbrüchen intoniert sie anfangs etwas hoch. Ihrem untreuen Jason, den Anders J. Dahlin mit leichtem, hellem Tenor zu einem windigen Schwächling macht, ist sie in jeder Phase überlegen, auch wenn sie noch im dritten Akt um seine Liebe winselt. Dann aber schlägt ihre Verletztheit in Wut um. Ins Extreme verfällt sie dabei aber nicht. Wie Magdalena Kožená diese psychologische Entwicklung gesanglich und darstellerisch sehr genau gestaltet, wie sich ihre Mimik verändert und ihre Stimme härtet – das macht die Basler „Médée“ zu einem echten Musiktheatererlebnis.
Kostümbildnerin Bettina Walter unterstützt diese Verwandlung, indem sie Médée am Ende mit einem Harnisch über ihrem Unterkleid zur Kriegerin werden lässt. Die Barockzeit wird in den Einheitskostümen des Orchesters und den Perücken und Kleidern des Bewegungschors beim Divertissement im zweiten Akt zitiert. Richtig verortet wird die Geschichte von Regisseur Nicolas Brieger allerdings nicht. Das große Einheitsbühnenbild von Raimund Bauer besitzt wenig Atmosphäre und keine Flexibilität. Der zentrale Aufzug bringt hier leider auch nichts in Fahrt. Brieger bebildert die Geschichte, anstatt sie zu interpretieren. Das vergiftete Kleid, das Médée ihrer Rivalin Créuse (mit schlackenlosem Sopran: Meike Hartmann) schenkt, fängt am Ende an zu qualmen, weil es laut Libretto brennen soll. Auch im Lift legt die Rächerin zu ihrem dramatischen Abgang Feuer.
Brieger nimmt alles wörtlich. Die toten Kinder werden blutüberströmt auf die Bühne geworfen. Geister müssen komisch aussehen und seltsame Verrenkungen machen wie die Männer des La Cetra Vokalensembles Basel. Die von Médeé verhexten, Springerstiefel tragenden Krieger schlagen sich die Köpfe ein, ehe sie als Zombies nochmals kurz über die Bühne geistern. König Créon (mit mächtigem, etwas ausgeleiertem Bass: Luca Tittoto) kriegt von Médeé ein paar Ladies herbeigezaubert, die ihm die Hose ausziehen und eine Wellnessbehandlung inklusive Gesichtsmaske verpassen. Fantasievoll ist das alles leider nicht. Der enorme Aufwand der Inszenierung steht in keinem Verhältnis zum geringen künstlerischen Ertrag.
Die Partie des Prinzen Oronte singt Robin Adams mit kernigem Bariton, aber etwas zu viel Vibrato. Silke Gäng ist als Médées Vertraute Nérine ein Ruhepol im immer hitziger werdenden Geschehen. Das Cetra Barockorchester Basel sorgt bei dieser umjubelten Premiere für den fast pausenlosen musikalischen Fluss. Die beiden Continuogruppen mit Cembali, Theorben und Celli wechseln sich ab oder tragen die Sänger auch gemeinsam. Hin und wieder fehlt die Präzision beim Unisoni zwischen Streichern und Bläsern, was aber dem guten musikalischen Gesamteindruck keinen Abbruch tut. Und den tanzenden Paukisten, der mit der Hacke das Donnerblech bedient, muss man auch gesehen haben.
© Georg Rudiger, Südkurier