Das Theater Basel hat die Oper „Médée“ des Barockkomponisten Marc-Antoine Charpentier neu entdeckt. Die Aufführung begeistert.
Den Komponisten Marc-Antoine Charpentier kennen wenige, den Beginn seines „Te Deum“ kennen alle – als Eurovisions-Fanfare. Das Theater Basel stellt nun Charpentiers Oper „Médée“ vor. Altmeister Nicolas Brieger hat inszeniert. Andrea Marcon dirigiert das Basler Barockorchester „La Cetra“.
Die 1695 in Paris erstmals aufgeführte „Tragédie mise en musique“ ist ein Meisterwerk. Stringent, ohne die im Barock häufigen Nebenhandlungen entfaltet der Librettist Thomas Corneille die Geschichte von Medea, die von ihrem Gatten Jason zugunsten einer Jüngeren verlassen wird, aus Rache ein Blutbad anrichtet und die eigenen Kinder tötet.
Selbst die in Frankreich üblichen Ballett-Divertissements am Ende der fünf Akte entwickeln sich organisch aus der Handlung. Charpentier hat dafür eine ausdrucksstarke Musik komponiert, die differenziert und mit vielen Zwischentönen die Emotionen der Figuren nachzeichnet.
In Basel macht ein handverlesenes Ensemble diesen Reichtum hörbar – allen voran die international renommierte Magdalena Kozena als Médée. Sie führt ihre wunderbare Stimme – einen geschmeidigen, ebenmässig leuchtende Mezzosopran mit metallischem Kern – differenziert und lotet die Partie nach allen Richtungen aus.
In ihrer Stimme liegen alle Facetten von Médées Wesen: Verletzlichkeit, beißende Ironie, grenzenloser Hass und ein Anflug von Wahnsinn. Noch die kleinste Verzierung füllt sie mit Ausdruck.
Auch Jason ist mit dem Tenor Anders J. Dahlin hervorragend besetzt. Dahlin ist nicht nur ein fein gestaltender Stilist, er erreicht auch mühelos die extremen Höhen der Partie. Médées Rivalin Créuse singt Meike Hartmann mit jugendlich strahlender Leichtigkeit.
Vom Cembalo aus – wie im Barock üblich – leitet Andrea Marcon das leidenschaftlich musizierende Orchester. Eine reich besetzte Continuo-Gruppe gibt den Rezitativen Farbe und setzt kraftvolle Akzente. Beim „La CetraVokalensemble“ hingegen wackeln die Einsätze manchmal bedenklich.
Während das Orchester hübsche weiße Barockkostüme trägt, verlegt das Regieteam die Handlung in einen heutigen Militärstaat. Bettina Walter hat die Herren in Uniformen, die Damen in elegante Roben gekleidet. Raimund Bauer hat einen unwirtlichen Bühnenraum entworfen, eine heruntergekommene Hotellobby vielleicht, in der wenige schwere Sessel nicht wirklich zum Bleiben einladen. Eine Treppe und ein Lift führen in die obere Etage, wo Gänge zu den Zimmerfluchten abgehen. Hier trifft sich die feine Gesellschaft. Médée und ihre Kinder werden schon während der Ouvertüre in den Keller verbannt. Damit setzt der Regisseur gleich zu Beginn ein starkes Zeichen.
Er hat mit den Darstellern sorgfältig gearbeitet und erzählt die Geschichte stimmig, mit vielen bedeutungsvollen Details und gelegentlichen feinen Pointen.
Das Premierenpublikum bejubelte einen großen Abend.
© Alfred Ziltener, Die Oberbadische