Nicolas Brieger inszeniert, Andrea Marcon dirigiert Charpentiers "Médée" am Theater Basel / Magdalena Kozená singt eine hysterisch-expressive Titelpartie.
Die Bühne – ist’s ein Zitat? Verschiedene, von Geländern begrenzte, Ebenen, durch offene Treppen miteinander verbunden; kalte Grau-Blau-Töne. Als sei’s ein Stück von Christopher Marthaler. Und da der Schauplatz auch noch Theater Basel heißt, ist das Déjà-vu perfekt. Marthaler-Produktionen der vergangenen Jahre wie "La Grande-Duchesse de Gérolstein" oder "Sale" spielten in ganz ähnlichem Ambiente. Nur dass das jetzt von Raimund Bauer stammt, einer der bevorzugten Partner von Nicolas Brieger. Und der inszeniert Marc-Antoine Charpentiers Oper "Médée", 1693 uraufgeführt in Gegenwart von Ludwig XIV.
Anstatt an dieser Stelle in eine Diskussion über Originalität im Regietheaterbetrieb einzutreten, halten wir einfach fest: Dieser Premierenabend wird ein großer Publikumserfolg. Auch für das Regieteam. Womöglich nicht nur, weil es so aussieht wie beim geliebten Marthaler. Sondern weil Brieger die Tragödie um jene antike Figur der Medea so herrlich eindimensional erzählt wie in der Daily Soap. Alles ist vorhersehbar, nichts strengt an. Bis hin zum Fahrstuhl im Zentrum der Bühne, der, Kenner des Stückes ahnen es sofort, Medea am Ende ihres Rachefurors nach oben bringen wird wie der Feuerwagen oder Drache aus dem Libretto. Die dafür nötige Pyrotechnik gibt’s auch zur Belohnung für das lange Warten, nachdem zuvor das verwünschte Kleid, das Médées Rivalin Créuse trägt, nur ein klein bisschen gequalmt hat. Barocktheater so ganz ohne Spektakel geht auch nicht…
Brieger verortet das Stück im Nichts einer unbestimmten Gegenwart. Die antiken Feldherren tragen Uniformen aus dem mehr oder weniger aktuellen Militärfundus (Kostüme: Bettina Walter), wohingegen beim Theater im Theater Reminiszenzen ans Barocktheater gestattet sind. Freilich, bei ihren amourösen Leibesübungen hängen die allegorischen Tanzfiguren an den Fäden der Uniformierten. Merke: Kunst war schon immer eine Spielwiese der Mächtigen.
Nicht dass das alles verkehrt oder nicht nachvollziehbar wäre: Vielleicht ist es einfach eine Spur zu nachvollziehbar. Theaterroutine wie vom Fließband, jedes Oberseminar zur antiken Mythologie sollte eine solche Assoziationssammlung spielend zuwege bringen. Ein bisschen mehr erwartet man sich indes von der Bühne. Zumal Textdichter Thomas Corneille in die erst 1984 wiederentdeckte Tragédie en musique durchaus differenzierte psychologische Zwischentöne eingebaut hat, bei denen Charpentiers Musik sich über die Opernkonfektion der Zeit erhebt.
Andrea Marcon und das etwa um einen Halbton tiefer gestimmte Basler Barockorchester La Cetra wissen darum und bringen die gerade in den – dominierenden – Rezitativen durch ein sehr variables Metrum sich auszeichnende Musik mit großer Leidenschaft und nach allen Regeln historisch informierter Aufführungspraxis zum Klingen. Da das Ensemble rechts vorne an der Bühnenrampe platziert ist, wirkt der Orchesterklang sehr präsent und plastisch. Gleichwohl fällt auf, vor allem nach einer eher schwachen ersten halben Stunde, dass die pedantische rhythmische Präzision und Schärfe nicht so sehr Marcons Sache ist. Oft gibt es Differenzen zwischen der Continuo-Gruppe und dem Kontrabass.
Könnte es sein, dass die Interpretin der Titelpartie sogar die Musiker gelegentlich ablenkt? Magdalena Kozená, die tschechische Weltklassekünstlerin, ist eine Médée von antikem Ausmaß. Ohne ins Klischee eines Racheengels zu verfallen. Ihr leichtgängiger, obertonreicher Mezzosopran fokussiert die Hysterie der Figur exzellent; mit Portamenti und Glissandi, also einem übergangslosen Ineinandergleiten der Töne, steigert sie die Expressivität ihres Gesangs; zeitweilige kleine Unsauberkeiten fallen da kaum ins Gewicht. Anders J. Dahlins hoher, fast effeminierter Tenor passt gut zum Typus des schwachen, untreuen Ehemanns Jason. Großartig auch Luca Tittoto als markanter und doch am Ende unterlegener König Créon und Meike Hartmann, die dessen Tochter Créuse als dekadente Grazie gibt. Hervorzuheben sind die agilen, durchschlagenden Chöre des Theaters und von La Cetra. Sie lässt Nicolas Brieger übrigens gen Ende, wenn Korinth in Flammen steht, vom Zuschauerraum rechts auftreten, ganz nah am Publikum kauernd. Ein packender Moment. Davon hätte man sich mehr gewünscht.
© Alexander Dick, Badischen Zeitung